Not looking back in anger. Gedanken über den Berufseinstieg als Lehrer

Oder: Von jetzt auf gleich 300%. Und überlebt!

Nach einem Jahr mal wieder Muße und Ruhe, um durchzuatmen und runterzukommen. Gleichwohl braucht es auch in den großen Ferien ein paar Tage, um wirklich anzukommen. Dazu braucht es wohl auch einen Post wie diesen: rekapitulieren, reflektieren, regenerieren und äh, revitalisieren.

Die ersten Wochen in fester Anstellung erinnerten mich an das berühmte „live fast die young“, nur halt in seriös. Info-Overkill allenthalben: jeden Tag Neues, Wichtiges, Gesichter hier, Termine da, Listen dort, Treffen da drüben. Zig neue Namen. Morgens gelernt, am Nachmittag vergessen. Man purzelt von Tag zu Tag, Woche zu Woche, Monat zu Monat, wird mitgerissen vom Strudel administrativ-pädagogischer Sollerfüllung und versucht dabei, doch erstmal den Freischwimmer zu machen.

Im Nachhinein nun: Was mir half, das erste Jahr erfolgreich zu bestehen.

Kategorie No1: Kommunikation

Ungemein hilfreich: Fragen, Fragen, Fragen! Und Fragen! Keine Scheu, du bist neu, machst vieles zum ersten Mal und hast massiven Info-Bedarf [Mutatis mutandis falls die Schule auch die Ausbildungsschule war].  Ansprechpartner sind (Fach)-Kolleginnen und kollegen, die Fachleitungen, Schulleitung, die Mitarbeiter im Sekretariat. Auch der Hausverwalter [früher: Hausmeister] ist kein besenschwingender Lakai auf einer unteren sozialen Stufe, sondern kenntnisreicher Mitarbeiter im Schulkontext.

Nicht zu unterschätzen für den Psycho-Haushalt: regelmäßig mit Gleichgesinnten Kontakt suchen. Falls du nicht gerade die einzige Neueinstellung gewesen bist, tut es gut, zu hören und zu wissen, dass die Anfangszeit i.d.R. für JEDEN eine heftige Zeit ist. Du musst also nicht weinend auf dem Parkplatz im Auto verzweifeln. Dazu kann es hilfreich sein, eine begleitende Fortbildung für Berufseinsteiger zu machen, denn hier gibt es ein Forum, dass für alle relevanten Anfangsfragen Austauschmöglichkeiten und Anleitungen bietet. Mal beim örtlichen Schulamt nachfragen bzw. nachsehen.

Kategorie No2: Arbeitsorganisation und -gestaltung

Zentrale Kategorie, quasi das Mastermind der Komplexitätsbewältigung!

Zunächst: Übersicht schaffen und gut organisieren. Jahreskalender waren für mich immer eine Art Inbegriff der Spießigkeit, der freie weiße Raum an der Wand über meinem Schreibtisch ein Heiligtum [kontemplatives Starren ins weiße Nichts eine geübte Schaffensphase] . Damit war es bald vorbei und im Nachhinein muss auch ich anerkennen, was die übrige Menschheit seit Zillionen von Jahren weiß: Die Teile haben durchaus ihren Sinn! Das Grauen hat ein Gesicht und kann abgearbeitet werden. Wenn alle Klausuren, SV-Stunden, Aufsichten, Konferenzen, Reinigungsdienste, Elternabende, Fachschaftstreffen, Prüfungstermine etc vor einem erscheinen, lassen sich auch Ressourcen schonen: keine unnötig vorbereiteten Unterrichtsstunden, wenn am betreffenden Tag gar kein Unterricht ist!

Zur Arbeitsorganisation gehört auch ein hilfreich gestalteter Arbeitsplatz, Stichwort Hardware. Wenn nicht schon ohnehin vorhanden, sollten die Anfangsgehälter für gewisse technische Investitionen genutzt werden. Ein Laserdrucker erspart so manchen Stressmorgen am Kopierer (mit 10 anderen!), auch spätabends noch lassen sich Arbeitsblätter und vor allem Klausuren klassensatzweise ausdrucken. Sehr gute Erfahrungen habe ich bisher mit s/w-Laserdruckern von Brother gemacht (aktuell dem Modell HL-5240L). Für gelegentliche Farbfolien, Fotos u.a. bietet sich ein günstiger Farbtintenstrahldrucker an (recht solide Arbeit und tolle Qualität bei Photodrucken auf Photopapier: Canon IP2700). Unverzichtbar ist natürlich ein Scanner, denn die einschlägigen Verordnungen zum Kopieren aus Lehrwerken zwingen ja quasi zur Vielseitigkeit ;-), außerdem verfügt man über schöne Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeitsblättern. Tipp hier: maximale Flexibilität durch Stromversorgung via USB, dazu gute bis sehr gute Lesequalität bei hoher Geschwindigkeit, der CanoScan LIDE 200. Inwiefern man den Wunsch nach maximaler Flexibilität auch in die Schule hineinträgt und sich einen eigenen Beamer anschaffen mag, ist jedem selbst überlassen. Der technische Notstand (wo sind die ausleihbaren Beamer, wenn ICH sie mal brauche?) und notorisch lange Finger (wo ist die Fernbedienung bei den TV/DVD-Kombis?) an meiner Schule veranlassten mich dazu, es zu tun. Zum Abbilden von Präsentationen und Filmen in einigermaßen abgedunkelten Räumen reicht das (Einstiegs)gerät von Epson [Modell EB S7] aus, in hellen Räumen wirds nervig und ist nicht zu empfehlen. Die Flexibilität allerdings ist es wirklich wert: Du planst Schülerpräsentationen? Dann werden sie auch gehalten, weil du den Kram dabeihast. Punkt. Planungssicherheit, Entlastung, innere Ruhe.

Ein wichtiger Leitsatz zur Unterrichtsgestaltung, gerade am Anfang wurde mir: Weniger ist Mehr!  Wo brauchbare Schulbücher vorhanden sind, sie auch nutzen, anstatt sich totzukopieren, nur weil man in der Ausbildung so häufig und ex cathedra die Verpönung der Schulbucharbeit gehört hat. Die Angewohnheit elaborierter Stundenplanung aus dem Referendariat sollte man aus Selbstschutzgründen vorübergehend aussetzen. Sie macht bei zwei bis fünf  Klassen und 12-14 Wochenstunden Sinn, bei zehn Klassen und 26h sieht das zuweilen anders aus. Nichtsdestotrotz lassen sich glorreich gelungene Vorführstunden modizifiert ja auch nochmal einsetzen, und das Gefühl ist wieder da :-).

Stichwort Materialsammlung. Gerade als PoWi-Lehrer ist man aufgrund des diesem Fach so inhärenten Aktualitätsprinzips ein beständiger Jäger & Sammler und besonders am Anfang erscheint jeder Verlagskatalog wie eine von den Didaktikgöttern für mich persönlich ausgesuchte Offenbarung. Allerdings merkte ich schnell, dass die Vorratsanschaffung nach dem „kann ich bestimmt mal irgendwann super einsetzen!“-Motto schnell leerläuft [siehe oben, Totkopieren vs. Schulbuchnutzung]. Eine Auswahl von 2-4 Schulbüchern pro Fach und Stufe, dazu verschiedene Arbeitsmaterialien [u.a. auch nicht zu unterschätzen: Rätsel, ja tatsächlich! Für Geschichte z.B. eine Sammlung aus dem Auer-Verlag] fand ich für den Beginn hilfreich. Für den PoWi-Bereich ein echter Tipp ist der Aktualitätenservice des Schroedel-Verlages, wenn eine Schullizenz vorliegt – kostenfrei für die angemeldeten LehrerInnen, schnell und bequem können dann aktuelle Themen qualitativ hochwertig im Unterricht besprochen werden.

A propos Online-Ressourcen: Das digitale Auslagern des Unterrichtsgeschehens ist vielerorts integraler Bestandteil der Lernkultur, sei es per email-Verteiler, oder einem digitalen Klassenzimmer via der Plattform Lo-net, oder entsprechenden internen Bereichen auf vom jeweiligen Kultusministerium zur Verfügung gestellten Seiten. Noch unmittelbarer und unaufwendiger sind Blogs. Emails kommen gerne zurück, weil irgendjemand immer sein Postfach überfüllt hat, im Blog stellt man Dokumente zum Download bereit und die Schüler sind selbst verantwortlich, sie sich dort herunterzuladen. Es gibt auch keine Ausredemöglichkeiten a la: die Email habe ich nicht bekommen. Naja, obwohl: Die Ausreden heißen dann: „das Internet ging nicht“ ! Aber auch nur einmal. Weitere Vorteile: Wenn die Ergebnissicherung an der Tafel zeitmäßig nicht mehr hingehauen hat, einfach abfotografieren und in den Blog gestellt. Für mich insgesamt eine Entlastung, die Schüler lassen sich daran gewöhnen! Und bei WordPress.com ist ein Blog schnell eingerichtet! Konkretes Beispiel  (m)eines primär auf Ressourcen bereitstellen ausgerichteten Blogs: forumlaszlorum. Funktioniert vorzüglich auch als Materialtheke für Kollegen, wenn Daten fürs Verschicken zu groß geraten. Bei aller Digitalisiererei von Arbeitsmaterial ist eine Seelenfriedenskomponte das Sichern dieser Daten. Ein bequemes Tool für diesen Zweck ist der Service von Mozy: Man muss zwar einmal die Konfiguration einrichten und der erste Upload-Prozess dauert je nach Datenvolumen auch ein-  oder zwei Weilchen, aber dann geht es per Click oder automatisiert. Und wenn man dann mal wieder von Kollegen hört, dass es den Rechner und/oder die externe Festplatte zerrissen hat (und über Jahre angesammelte, wertvolle Daten weg sind), kann man einen guten Tipp loswerden. Und bis dahin ruhig schlafen.

Kategorie No3: Das Unterrichtsgeschehen

Zunächst die Metaebene – Stichwort realistischer Anspruch! Gleich zu Beginn erstmal ein wohlmeinendes Korrektiv verpasst zu bekommen, fand ich nicht nur freundlich, sondern auch hilfreich. Ein erfahrener Kollege gab mir weiter, was er einst beim Stellenantritt von einem erfahrenen Kollegen zu hören bekam: Bis jede Unterrichtsstunde eine gleichbleibend hohe Qualität haben würde, sollten 7-8Jahre vergehen! Der Wert wird variieren, doch die Botschaft ist nachvollziehbar. Im Gegensatz zum im schlechtesten (aber leider häufigen) Fall  auf Showstunden ausgerichteten Referendariat heißt das für mich: erstmal die Basics, dann die Innovationen! Gerade in einem Fach wie Geschichte muss eine überwältigende Stoffmenge bewältigt werden, da kommt man mit den oben veranschlagten Jahren schon hin. Und auch der viel geschmähte, jüngst aber eine Art Renaissance erlebende Frontalunterricht ist eine Kunst, die erstmal gelernt werden muss.

Im Klassenraum. Hier hat jeder seinen/ihren eigenen Stil und eigene Zugänge. Was ich als hilfreich empfand, war folgendes: Jede Klasse hat ihre eigene Dynamik und ich suchte mir in jeder Klasse Anknüpfungspunkte, warum der Unterricht ausgerechnet in DIESER Klasse angenehm sein konnte. Das war zum Beispiel das hohe fachliche Niveau, auf dem unterrichtet bzw.  gemeinsam gearbeitet werden konnte. Keine Selbstverständlichkeit, daher absolut genussfähig! In andereren Klassen war es der humorvolle Umgang mit den Schülern, oder die positive Klassenatmosphäre. In wieder anderen Kursen waren es die herausfordernden fachlichen Baustellen und meine Lösungsansätze, die entweder auf gar keine oder doch gewisse Resonanz stießen. Und natürlich gab es auch die klassische Krawallklasse, die sich aufgegeben hatte, aber in verschworener Klassengemeinschaft jeden Lehrer als Agenten des Bösen und des infamen Unrechts ansah und dies mit fachlicher Minderbegabung, ausgeprägter Faulheit, argumentativer Unverschämtheit und individueller Dreistigkeit paarte.

Die Begegnungen mit dieser Klasse waren zuweilen nervliche Drahtseilakte, die mich zum nächsten wichtigen Punkt führen: Der Trennung von Person und Rolle.  Denn als Lehrer und Lehrerin macht man jeden Tag Lernangebote. Diese werden angenommen und genutzt, oder eben nicht. Den Erfolg oder Misserfolg fachlich, aber nicht persönlich zu nehmen, scheint mir ein hilfreicher Ansatz zu sein. Auch wenn das natürlich nicht immer gelingt. Aber: Ich kann als Lehrperson einen schlechten Tag haben und scheitern, doch als rollendistanziertes Individuum kann ich dieses Scheitern analysieren und reflektieren, Schlüsse ziehen und Alternativen überlegen, ohne meine gesamte Existenz in den Orbit des Grauens, des Wurmseins zu verbannen.

Ansonsten gilt auch hier das Kommunikationsgebot von oben: Mit Schwächen offen umgehen und mit anderen darüber sprechen, ist einerseits ein gutes Ventil, andererseits kann man auch eine offene Kommunikationskultur vorleben, die das klassische Einzelkämpferdasein von Lehrerinnen und Lehrern ein Stück weit durchbricht.

Kategorie No4: Der Ausgleich

Das Doofe gerade am Anfang: So viel Zeit bleibt für einen ausgedehnten Ausgleich gar nicht! Wenn man nach 6-10h Schule und einer Mittagspause bis abends am Schreibtisch sitzt, den Rücken krumm macht und die Augen quält, ist das Bett eigentlich der zentrale Ausgleichsort. Empfehlenswert ist daher das Ausruhen in den Zwischenzeiten, wann immer es sich ergeben sollte: Als großer Fan des sog. „power nap“ musste ich gelegentlich Hindernisse überwinden und in Stillarbeitsräumen mit vier Stühlen eine Liegefläche basteln, Körperspannung anlegen, um dann mental abzuschalten. Sich im Lehrerzimmer leichenmäßig in der Sofaecke lang machen ist hingegen weniger ratsam, wenn man nach dem Aufwachen keine Lust hat, auf die spöttischen Kommentare ruhestörender Kolleginnen zu antworten.

Ansonsten ist Sport natürlich das Mittel der Wahl zum Ausgleich, da kann ich mich einhelligen Meinungen nur anschließen. Wie man sehr arbeitsintensive Phasen konstruktiv gestalten kann, habe ich im Prüfungskontext mal beschrieben, daher hier nur der Link zum Artikel: Von der Kunst selbstorganisierten Arbeitens.

Eine Sache noch finde ich erwähnenswert, sie hat etwas mit den materiellen Früchten des Lehrerberufs zu tun. Im Vergleich zum Ref. potenziert sich das Gehalt einigermaßen und man muss ja nicht alles versaufen. Man muss auch nicht alles in technischen Investitionen unterbringen. Unbestritten haben materielle Belohnungssysteme ihren Reiz und ihre psychologische Berechtigung. Und hier ist man als Lehrer/Lehrerin in einer privilegierten Situation. Doch wenn man nicht gleich zum Dienstantritt den neuen A3 oder 1er BMW geordert oder den Hauskauf forciert hat, bleibt genug übrig, um Privilegien zu teilen. Die Möglichkeiten zum Spenden sind so episch wie individuell, eine Mischung aus globaler [z.B. Brot für die Welt ] und lokaler Aktivität [z.B. die FR-Altenhilfe ] vielleicht ein interessanter Ansatz.

So weit mal diese Retrospektive zum vergangenen Jahr. Sie erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die Subjektivität ist hoffentlich evident. Wer Lust hat, kann seine/ihre Tipps gerne ergänzen.

Cheers und schöne Ferien!

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